Objet du mois, août 2023

»Dr. Mabuse beginnt«

Oder: Norbert Jacques’ Eintritt in die Weltliteratur
©CNL, Bestand Norbert Jacques, L-89; IV.1-3.

Als unter der Schlagzeile »Dr. Mabuse beginnt« das erste Kapitel von Norbert Jacques’ Hauptwerk auf der Titelseite der Berliner Illustrierten Zeitung angekündigt wurde, konnte niemand ahnen, dass der Autor mit Dr. Mabuse, der Spieler nicht nur Literatur-, sondern auch Filmgeschichte schreiben würde. Im Bestand L-89 bewahrt das Centre national de littérature die erste Folge des Fortsetzungsromans auf, der zwischen dem 25. September 1921 und dem 29. Januar 1922 erschien. Auf die 1921 im Berliner Ullstein Verlag gedruckte Buchausgabe sollten zahlreiche Neuauflagen und Übersetzungen folgen, sodass der erste Mabuse-Roman zu einem Klassiker der Unterhaltungsliteratur und zugleich zur erfolgreichsten Publikation der Luxemburger Literatur überhaupt avancierte.

 

Jacques’ Zeitgenossen überzeugte vor allem das eindrückliche Zeitbild dieser chaotischen und unsicheren Epoche, das er anhand der rauschhaften Charakterstudie eines verbrecherischen Falschspielers und tyrannischen Hypnotiseurs passend zeichnete. Der Mabuse-Stoff fesselte insbesondere den mit Jacques befreundeten Filmregisseur Fritz Lang derart, dass er ihn zu drei Filmen inspirierte. Langs Stummfilm Dr. Mabuse, der Spieler (1921/1922) ist eine getreue Verfilmung des ersten Mabuse-Romans, die als ein den Übergang vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit kennzeichnendes Meisterwerk gefeiert wurde. Nachdem Jacques aufgrund finanzieller Schwierigkeiten die Rechte am Namen ›Mabuse‹ an die Berliner CCC-Film verkauft hatte, wurden in den 1960ern schließlich sechs weitere Spielfilme realisiert, welche den internationalen Ruf der epochalen Figur derart zementierten, dass sie ein vom Autor losgelöstes und bis heute andauerndes Eigenleben führt.

 

Die nahezu ikonische Titelseite der Berliner Illustrierten Zeitung zeigt Jacques mit seiner zweiten Ehefrau Grete Samuely an Bord der ›Sturmbock‹. Mit dem Segelschiff überquerte das Paar den Pazifik von Australien nach Peru – während seiner anderthalbjährigen Hochzeitsreise. Mit unzähligen Berichten über derartige Expeditionen etablierte sich der 1880 in Eich geborene Kaufmannssohn als geachteter Reisedichter. Allein an den Titeln einer kleinen Auswahl an Büchern kann man seine Globetrotter-Leidenschaft ablesen: Heisse Städte. Eine Reise nach Brasilien (1911), Auf dem chinesischen Fluss (1921), Südsee (1922), Am Bodensee. Skizzen und Erlebnisse (1923), Reise nach Sumatra. Schicksale von Menschen und Tieren (1926), Afrikanisches Tagebuch (1936).

 

Norbert Jacques stellt aber nicht nur den international erfolgreichsten und mit 55 allein zu Lebzeiten publizierten Romanen produktivsten, sondern zugleich auch den umstrittensten Luxemburger Autor dar. Dies liegt insbesondere daran, dass er sich trotz (oder wegen?) diverser nazistischer Repressionen wie einer zeitweiligen Gestapohaft im Zweiten Weltkrieg für die nationalsolzialistische Propaganda in Luxemburg vereinnahmen ließ. Fortan als eine »Unperson für das luxemburgische Establishment« (Gast Mannes: Der verstoßene Sohn, 2011) tabuisiert, fristet der Weltenbummler bis heute ein Dasein im Schatten seiner Erfindung, des Dr. Mabuse. Denn: Die Figur des Erzbösewichts wird – stark vereinfachend – immer wieder auch zur biografischen Deutung ihres Schöpfers herangezogen.

Tim Reuter

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